Schattengalaxis III – Befreiung


Schattengalaxis III - Das letzte Gefecht (Taschenbuch)Am 19. Januar 2014 trug ich diesen Auszug aus Das letzte Gefecht auf der Infinite Monkey Lesebühne vor. Das war besonders schön für mich, weil ich endlich das Taschenbuch in den Händen halten konnte, während ich daraus vortrug.

Im Roman ist in den Text noch zwei Abschnitte über andere Charaktere dazwischen, die ich beim Vortragen jedoch weggelassen habe, um einen zusammenhängenden, in sich geschlossenen, Text zu haben.

Kapitel 8

Ranai wich dem Ix aus, der sich ihr entgegengeschmissen hatte und schwang sich gleichzeitig auf seinen Rücken. Neben sich konnte sie sehen, wie Carter nach der Energielanze des anderen Ix griff. Sie hielt die Luft an, um die giftige Atmosphäre nicht einzuatmen und damit ihre Implantate sich auf das Gefecht konzentrieren konnten, anstatt die Giftstoffe filtern zu müssen. Wenn sie atmen müsste, würde sie sich entweder vergiften oder mit weniger Kraft kämpfen müssen. Keines von beidem hielt sie für eine gute Idee.

Sie legte die Arme um den Hals des Aliens und begann zu ziehen. Unter ihr bebte der Körper ihres Gegners als der versuchte sie abzuschütteln. Aber sie ließ sich davon nicht beirren. Wenn sie losließ, würde sie nicht schnell genug erneut zum Angriff kommen, bevor sie wieder atmen musste. Egal was geschah, sie durfte nicht den Halt verlieren.

Sie hörte ein leises Knacken und hoffte, dass es der Chitinpanzer am Hals ihres Gegners war.

Plötzlich erbebte der Körper unter ihr erneut und mit einem unüberhörbar lauten Knacken hielt sie den Kopf ihres toten Gegners in den Armen. Sein Körper gab unter ihr nach und brach zusammen. Um nicht womöglich erschlagen zu werden rollte sie sich zur Seite von ihm herunter und in Richtung ihres Helms, der am Boden lag.

Sie setzte ihn auf und versiegelte ihn, erst dann schaute sie nach Carter. Die andere Agentin hatte weniger Glück gehabt als sie. Der Ix hatte sie offenbar abgeworfen und schlug mit seiner Energielanze nach ihr, während sie versuchte den Schlägen durch ständiges Wegrollen zu entgehen. Aber der Gang war zu eng dafür, er erlaubte ihr nicht, Abstand aufzubauen und sich aufzurichten oder noch sonderlich lange weiter hin und her zu rollen. Sie war der Wand gefährlich nahe gekommen.

Ohne zu überlegen griff Ranai die Energielanze aus den toten Händen ihres Gegners und schleuderte sie dem anderen Ix entgegen. Der bemerkte sie jedoch und wich ihrem Angriff aus.

Beeindruckend.

Aber nicht beeindruckend genug. Durch die Bewegung hatte er Carter Raum gegeben. Die Agentin sprang auf und griff die fliegende Energielanze aus der Luft, ehe sie gegen die Wand neben ihr prallen konnte. Noch bevor ihr Gegner reagieren konnte, führte sie die Lanze in einer schwungvollen Rotation von unten nach oben – mitten durch seinen Kopf.

„Wohin mit den Leichen? Wir können sie kaum so liegen lassen.“, fragte Carter, „Und dich müssen wir irgendwie sauber bekommen.“

Ranai sah an sich herunter. Sie war beinahe vollständig mit dem blauen Blut ihres Gegners bedeckt. So konnte sie sich nicht durch das Schiff bewegen, jede Chance als Hirachosa durchzugehen wäre sofort wie weggewischt.

„Ich glaube, das Wegschaffen der Leichen können wir uns sparen.“, sie deutete auf die sich ausbreitende blaue Pfütze unter ihrem Gegner, „Oder hast du vor hier noch aufzuwischen?“

Die andere Agentin sah Ranai sauer an.

„Wenn wir wegen dir jetzt nicht zu Lilly kommen…“, sie ließ die Drohung unvollendet.

„Wir kommen zu deiner Tochter.“, sie begann ihren Raumanzug auszuziehen, „Ich werde dir nur keine große Hilfe im Kampf mehr sein. Aber du hast jetzt zwei Energielanzen.“

„Und wenn sie Alarm auslösen hilft mir das auch nicht.“

„Das mag sein, aber das Schiff scheint nahezu verlassen zu sein. Ich mache mir keine allzu großen Sorgen darum.“

Das stimmte zwar nicht, tatsächlich machte sie sich große Sorgen, aber es gab wenig, was sie dagegen tun konnte. Sie hatte einen Fehler gemacht als sie den Ix mit roher Gewalt getötet hatte. Das konnte sie nicht mehr ändern. Jetzt musste sie das Beste aus der Situation machen – und das bedeutete zu allererst dafür zu sorgen, dass Carter nicht wieder in den „besorgte-Mutter-Modus“ verfiel. Dann wäre sie nutzlos.

Die andere Agentin nahm sich die zweite Energielanze, schwang sie sich auf den Rücken und schnallte sich Ranais Helm, neben die Atemmaske, die sie für ihre Tochter dabei hatten, an den Gürtel – Ranai vermutete als Ersatz, falls ihr eigener Helm beschädigt wurde. Dann ging sie weiter.

Ranai folgte dicht hinter ihr, aber immer mit genug Abstand, dass sie sofort stehenbleiben und ihr Anzug mit ihrer Umgebung verschmelzen konnte. Sie hatte vielleicht weniger Kraft und Geschwindigkeit, wenn ihre Implantate ständig damit beschäftigt waren, sie zu entgiften, aber das Überraschungsmoment gehörte ihr.

Wenn der Alarm zu früh ausgelöst wurde oder Lilly zu geschwächt war, um sich aus eigener Kraft zu bewegen, waren sie trotzdem geliefert.

Zu Ranais Überraschung hatten sie es bis zu Lillys Zelle geschafft, ohne dass sie eine weitere Begegnung mit einem Ix hatten oder der Alarm ausgelöst worden war.

War das Schiff wirklich derart unterbesetzt oder ging hier etwas anderes vor sich?

Während Carter Wache stand, versuchte Ranai die Tür zur Zelle zu öffnen, scheiterte aber. Sie hatte die Abdeckung entfernt und war dabei, die Verkabelung kurzzuschließen. Sie hoffte, dass die Fehlversuche keinen Alarm ausgelöst hatten.

Hätte Zora nicht am neuralen Netzwerk hängen oder mir wenigstens Informationen liefern können, wie ich mich darin einklinken könnte?

Der Großteil der Technologie auf den Schiffen der Ix funktionierte mithilfe des neuralen Netzwerks und brauchte keine manuelle Eingabe von Befehlen. Da aber nur die höhere Kaste, und selbst von denen nicht jeder, Zugriff auf das neurale Netzwerk hatte, gab es immer auch Möglichkeiten, Dinge von Hand zu bedienen.

Frustriert sah sie zu Carter, die ebenso frustriert zurückschaute. Wenn sie so weitermachte, würde sie definitiv Alarm auslösen. Sie musste einen besseren Weg finden das System zu hacken. Sie musste…

Einen Versuch ist es wert.

Plötzlich kam ihr eine Idee. Vermutlich würde es nichts bringen, aber was konnte schlimmstenfalls passieren? Zetoras hatte ihr, bevor sie nach Orion gesprungen war, zwei Lagen Hackgel mitgegeben. Er hatte ihr nicht gesagt, wofür, aber er hatte ihr immerhin gesagt, dass das Gel mehr könne als man ihm heutzutage zutrauen würde. Sie hatte es ablehnen wollen – wozu sollte sie schließlich nutzlose Dinge mit sich rumschleppen? – aber der Admiral hatte darauf bestanden, dass sie es mitnahm. Also hatte sie es dabei – und aus irgendeinem Grund hatte sie es auch heute in dem begrenzten Taschenplatz des Tarnanzugs verstaut.

Umständlich fummelte sie das glitschige Gel aus der engen Tasche – Was habe ich mir dabei gedacht, es mitzunehmen? – und verteilte es vorsichtig auf der freigelegten Schaltung. Für einen Moment passierte gar nichts und sie wollte es bereits wieder runterwischen als es in das Innere der Elektronik verschwand.

Vielleicht war es ja doch keine so schlecht…

Ein plötzliches Blitzen und Fauchen aus der freigelegten Verkabelung unterbrach ihre Gedanken. Jeden Moment musste der Alarm losgehen. Sie presste ihren Rücken an die Wand, damit der Tarnanzug besser mit ihr verschmelzen und sie nahezu unsichtbar machen konnte und – die Tür zur Zelle öffnete sich.

Ranai hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Daher brauchte sie eine Sekunde, bis sie reagierte, die Energielanze griff, die neben der Tür an der Wand lehnte und sich schnell auf die andere Seite der Tür begab. Dabei warf sie einen Blick in den Raum. Für einen Moment traute sie ihren Augen nicht. Sie sah nicht etwa in die Zelle selbst, sondern in einen Kontrollraum, der diese offenbar überwachte und an einer der Konsolen konnte sie eine Frau sehen, die mit der Seite zu ihr stand und sie offenbar nicht bemerkte.

Sie erinnerte sich an Dr. Jana Karpyshyn von ihrer letzten Mission im Orion Pakt. Was machte sie hier?

War sie eine Hirachosa oder arbeitete sie freiwillig mit den Ix zusammen? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. Sie winkte Carter heran, da die andere Agentin eine kleine Ampulle mit Usiros bei sich trug, die sie eigentlich für Lilly vorgesehen hatten. Dann schritten sie gemeinsam durch die Tür.

Sofort meldeten ihr ihre Implantate, dass die Luft im Raum nicht giftig und zum Atmen für Menschen geeignet war.

Erst jetzt drehte sich die Wissenschaftlerin herum und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ihre Worte blieben ihr im Hals stecken. Die nahezu unsichtbare Gestalt von Ranai, deren Gesicht sie nicht sehen konnte, und Carter in ihrem Raumanzug hatten sie offenbar zu Tode erschreckt – wie der sich schnell vergrößernde nasse Fleck an ihrer Hose belegte. Ihre Sorge, dass es sich bei der Frau um eine Hirachosa handeln könnte, verflog damit. Dennoch würden sie es überprüfen, nur um sicher zu gehen.

Bevor die Frau reagieren konnte schnellte Ranai nach vorne und schnitt ihr in den Arm, dann packte sie die Frau von hinten, legte einen Arm fest um ihre Kehle und hielt sie in Position. Das Blut tropfte auf den Boden und Carter gab vorsichtig eine kleine Menge Usiros hinzu. Zu ihrer Beruhigung lag sie mit ihrer Vermutung richtig. Das Blut färbte sich nicht blau, sondern in ein dreckiges Weiß.

Das bedeutete, dass die Frau zwar unter Drogen gesetzt worden war, – wenn auch nur mit einer geringen Menge, sonst hätte sich das Blut strahlend weiß verfärbt – es sich bei ihr aber um keine Hirachosa handelte.

„Hallo Jana.“, begann Ranai.

„Wer… woher…?“, stammelte sie.

Die Agentin beschloss, dass es ihnen nichts helfen würde, die Frau sinnlos zu verängstigen und zog die Maske des Tarnanzugs vom Kopf.

„Wir sind hier, um dich zu befreien.“, log sie.

Währenddessen sah Carter sich um und fand offenbar etwas, denn sie stürmte durch eine angrenzende Tür, ohne auch nur einen Gedanken an ihre eigene Sicherheit zu verschwenden. Ranai musste nicht raten, was die andere Agentin gefunden hatte. Wenn sie derart unvorsichtig wurde, dann befand sich Lilly im nächsten Raum.

Tatsächlich konnte sie das Gespräch der beiden Frauen hören. Carter, die ihre Tochter aufforderte aufzustehen, Lilly die ihr sagte, dass das nicht ging, weil sie von einem Kraftfeld gehalten wurde. Dann wieder Carter, die das Kraftfeld abstellen wollte. Und zum Schluss Lilly, die darauf bestand, dass ihre Mutter wartete und ihr Blut untersuchte, um sicherzustellen, dass sie keine Hirachosa war.

Letzteres überraschte Ranai. Die junge Frau musste gefoltert worden sein, daran bestand kein Zweifel. Sie musste sich nach Freiheit sehnen – und trotzdem bestand sie darauf, dass ihre Mutter sie erst befreite, nachdem sicher war, dass sie keine feindliche Agentin war. Und das mit vierzehn Jahren. Lilly war auf jeden Fall ein Mysterium, das sie über kurz oder lang ergründen wollte.