Schattengalaxis – Fragmente – Countdownblog 3


Da mir gerade einiges an Zeit fehlt und ich zu nichts komme, hier einfach nochmal eine Leseprobe. Diesmal aus Peter Hohmanns “Nur riesige Würmer, die Bäume fressen …”.

Das Taschenbuch wurde übrigens heute freigegeben und sollte zeitnah anfangen, im Handel aufzutauchen oder bestellbar zu sein.

 

****

 

  1. Oktober 2141

Hachero III

 

Ein Knall riss Leutnant Telvin aus seinen Gedanken an Frau und Tochter.

Die Erschütterung ließ seinen Helm gegen die Bordwand hinter ihm schlagen. Das gleichmäßige Brummen der Turbinen zerfaserte zu einer heulenden Dissonanz. Sie setzten ein und aus, im stotternden Takt eines kranken Herzens, und jedes Mal, wenn sie verstummten, sackte der Truppentransporter nach unten, so dass Telvin der Magen in den Hals hüpfte. Obwohl in seinem Sitz durch Schultergurte gesichert, spürte er die Stöße in der Wirbelsäule, die sich fast wie vom Rest des Körpers abgelöst anfühlte, als vibrierten Muskeln, Blut und Organe in unterschiedlichen Frequenzen, deren Kurven sich nur gelegentlich passgenau übereinanderlegten.

»Was soll der Scheiß!«, schimpfte Pert neben ihm. Soweit es die Gurte zuließen, beugte er sich im Sitz nach vorne und brüllte in Richtung der offen stehenden Pilotenkanzel: »Könnt ihr nicht vernünftig fliegen, ihr Nullen?«

»Uns hat irgendwas getroffen. Die Elektronik spielt verrückt!« Kurze Pause. »Also halt dein dummes Maul!«

Pert lehnte sich wieder zurück. »Solche Stümper.«

Telvin entglitt ein Lächeln, obwohl er den Zwischenfall nicht so unbekümmert wie Pert hinnahm. Dies sollte eine seiner letzten Missionen im Dienst der PET sein, der planetaren Erkundungstruppen, oder den Planetenkrabblern, wie man sie im Militär despektierlich apostrophierte. Und er hatte nicht vor, dabei draufzugehen. Noch ein oder zwei Jahre, dann würde er die Einheit verlassen und hätte einen einträglichen Posten als Ausbilder sicher, der es ihm erlauben würde, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen.

Planetenkrabbler — Telvin schmunzelte.

Neid ist die ehrlichste Form der Anerkennung, pflegte sein Vater zu sagen. Sie bildeten die Spitze der republikanischen Truppen, die destillierte Elite. Einen Kampfeinsatz hatten die Soldaten der PET bisher trotzdem nicht mitgemacht, und das würde sich diesmal wohl auch nicht ändern.

Die einzigen Verluste hatte PET vor drei Jahren bei einem Transporterabsturz erlitten.

Toll, dachte Telvin, dass mir das gerade jetzt einfällt.

»Jungs, macht euch auf eine etwas unsanfte Landung gefasst«, knisterte es aus den Bordlautsprechern.

»Stümper«, wiederholte Pert kopfschüttelnd.

Ein Ruck, stöhnendes Metall, und dumpfe Laute wie Knüppel, die gegen die Außenwand donnerten, dann war der Spuk vorbei.

Die Turbinen verstummten, und mit einem Schnappen lösten sich die Schulterriemen. Telvin und die anderen Soldaten — insgesamt vierzig — erhoben sich aus ihren Sitzen und nahmen ihre Ausrüstung und Waffen an sich.

Major Donelly, der Anführer, schritt zur Ausstiegsluke. »Gelände absichern«, kam es metallen aus dem Vollhelm, der nahtlos in den Tarnfleck überging.

Zischend öffnete sich die Luke. Die Gewehre im Anschlag, stürmten die Soldaten ins Freie und zirkelten die Landezone ab, ein tausendmal eingeübtes Manöver.

Telvin lief zu seiner Position und hielt nach möglichen Gefahren Ausschau.

Überall nur das in der Hitze der Sonne flirrende Grün eines Urwaldes und lange Schatten. Er spürte die Wärme in seinem Kampfanzug, doch nur für einen Moment, dann sprang der Kühlmechanismus an und hielt die Temperatur auf angenehmen zwanzig Grad. Der Untergrund war durchweicht und dampfte. Offensichtlich regnete es hier oft.

Gelände gesichert erschien die Statusmeldung auf seinem Visierdisplay, nachdem jeder Soldat das grüne Kreissymbol auf der Bedienfläche am rechten Unterarm aktiviert hatte.

»Offiziere zum Sammeln«, ertönte Donellys Stimme in Telvins Helm. Er schritt zur Mitte des gesicherten Areals.

Donelly holte eine Memotafel aus der Brusttasche, wo das Abzeichen der PET prangte: Ein Fadenkreuz, das einen Planeten anvisierte – viel zu martialisch für das, was sie eigentlich taten. Sie erkundeten neu entdeckte Planeten — so diese nicht absolut lebensfeindlich waren — und erforschten sie. Trafen sie auf Lebensformen, hatte die Republik klare Regeln: Kein ansässiges Leben durfte gestört, geschweige denn vertrieben oder gar angegriffen werden. War der Planet hingegen unbewohnt, gab es grünes Licht für eine etwaige Besiedlung oder Rohstoffabbau.

Dreiundvierzig Miniaturplaneten hatte Telvin inzwischen auf seiner Uniform. Dass er die fünfzig knacken würde, bezweifelte er. Und dass er jemals Aliens zu Gesicht bekommen würde ebenfalls.

»Unser Auftrag lautet wie folgt …«, begann Donelly, doch Telvin hörte nur mit halbem Ohr hin. Er kannte die Litanei inzwischen auswendig.

Zusammenbleiben … Wegpunkte checken … und so weiter und so weiter …

» … letzte Scan vom Hauptschiff zeigt, dass es Leben auf diesem Planeten gibt«, sagte Donelly. »An manchen Stellen verdichten sich die Signale sogar.«

Telvin horchte auf. Die Anhäufung der Signale könnte ein Hinweis auf Besiedelung sein. Das könnte interessant werden, denn bislang waren sie nie auf höher entwickelte Lebensformen getroffen.

»Doktor Boswyn«, wandte Donelly sich nun an die einzige Frau in ihrem Team. Aljuna Boswyn war Oberst, und Donelly hätte sie eigentlich mit ihrem Rang ansprechen müssen. Doch sie bekleidete ihn ehrenhalber, nicht aufgrund militärischer Meriten. »Haben Sie etwas hinzuzufügen?«

Aljuna sah von dem Apparat in Ihrer Hand hoch, ein flacher kleiner Bildschirm mit einigen Tasten. »Nun … Die Atmosphäre hier ist erdähnlich, nur die Luftfeuchtigkeit ist höher. Theoretisch könnten wir die Helme abnehmen.«

Donelly ging nicht auf ihre Bemerkung ein, sondern schaltete auf Sammelfrequenz. »Durch die technische Panne des Transporters sind wir statt einem halben nun zwei Tagesmärsche von unserem ersten Wegpunkt entfernt.«

Unmutiges Raunen wehte über die Frequenz.

»Wir haben keine Zeit zu verlieren. Marsch, marsch!«

Telvin warf einen kurzen Blick auf die Schneise aus abgeknickten und entwurzelten Bäumen, die der Transporter gerissen hatte, dann reihte er sich in die lockere Formation ein. Die Soldaten blieben auf Abstand, um etwaigem Feindbeschuss weniger Fläche zu bieten.

Feindbeschuss … Lächerlich!

Die Gefahr, angegriffen zu werden, ging gegen Null, und falls doch, waren sie bestens dafür gewappnet. Jeder Soldat trug eine MX-80. Die Projektile des Sturmgewehrs besaßen eine Explosivladung und konnten durch ihre hohe Geschwindigkeit sogar töten, falls sie das Ziel knapp verfehlten. Für Fahrzeuge ließ sich die MX-80 sofort auf panzerbrechende Munition umschalten, und wenn das nicht half, gab es zusätzlich die Torrent-Laserkanonen, die auf den Lastplattformen hinter der Gruppe schwebten, zusammen mit der restlichen Ausrüstung.

Logisch betrachtet konnten sie auf keinen Gegner treffen, der ihnen ebenbürtig oder sogar überlegen war. Als die Menschen noch auf der Erde eingepfercht gewesen waren, herrschte unter den Militärwissenschaftlern ein klarer Konsens: Jede Alien-Rasse wäre ihnen weit überlegen gewesen, weil sie die Technik besitzen musste, interstellar zu reisen. Und wer interstellar reisen konnte, der besaß auch Firepower.

Nun war es umgekehrt: Sie, die Menschen, besaßen die Technik — und waren die Aliens.

Telvin aktivierte sein Kommunikationsmodul, da er sah, dass Pert ihn anfunkte.

»Mann, ist das ein Scheiß hier!« Ein Seufzen. »Bäume, Bäume, Bäume — und Bäume übrigens auch …«

»Sei froh, dass es Bäume sind — und keine Berge. Erinner‘ dich nur mal an Regon IV. Ein Berg höher als der andere — und wir, immer schön rauf und wieder runter.«

Kurzes Schweigen, dann: »Hast recht. Das war ´ne ordentliche Plackerei. Und am Ende war das System nicht mal kolonisierbar.« Pert seufzte erneut. »Trotzdem — das hier ist sau öde!«

Donellys Stimme schnitt sich in ihre Frequenz. »Vielleicht wird es für Sie ein wenig spannender, wenn Sie die komplette Nachtwache übernehmen, Fähnrich Pert!«

Telvin lachte, als Donelly die Verbindung kappte. Pert, der alte Heißsporn.

Genau wie ich damals … Wo ist der Feind? … Für was wurde ich eigentlich ausgebildet? … Ist doch total langweilig!

Mit der Zeit gewöhnte man sich an die Eintönigkeit, und irgendwann, wenn man eine Familie hatte, freute man sich sogar darüber.

Plötzlich erschien eine rote Faust auf Telvins Display. Reflexartig ließ er sich auf ein Knie sinken, brachte das Gewehr in Anschlag und suchte die Umgebung ab.

»Kontakt auf zwei Uhr«, ertönte Donellys Stimme. »Objekt kommt langsam auf uns zu.«

Je mehr Zeit verstrich, desto mehr musste Telvin blinzeln, da seine Augen zu brennen begannen. Dort! Eine Bewegung! Sein Herz setzte einen Schlag aus. Als bewegte sich der Wald selbst.

»Ruhig«, flüsterte Donelly. »Niemand gibt dem Kribbeln in seinem Zeigefinger nach.«

Es war ein Wurm, allerdings von der Größe einer antiken Untergrundbahn, der sich auf die Gruppe zuschob. Die Haut grün und braun gemasert, verschmolz er perfekt mit seiner Umgebung.

»Langsamer Rückzug«, befahl Donelly.

Fußbreit um Fußbreit gingen die Männer zurück, die Mündungen von vierzig MX-80 auf den Wurm gerichtet, der wie in Zeitlupe weiterkroch. Unvermittelt hielt er inne, das Maul öffnete sich.

Dann gruben sich die spitzen Zähne in einen Baumstamm. Ein Knirschen, Holz splitterte, Kaugeräusche.

»Alles in Ordnung«, sagte Donelly. »Wir warten, bis unser überdimensionierter Holzfäller weiterzieht. Dann setzen wir die Mission fort.«

Telvins verkrampfte Muskeln lockerten sich.

»Mann, und ich hätte gedacht, jetzt könnten wir diesen Schwabbelkuchen in kleine Stückchen schießen«, maulte Pert.

»Reicht Ihnen eine ganze Nachtwache nicht, Fähnrich?«

»Tschuldigung, Major Donelly.«

»Wie Sie es in die PET geschafft haben, bleibt mir ein Rätsel.«

Gelächter ertönte: Diesen Satz hatte er, so die Kunde, seinerzeit bereits General de Sousa an den Kopf geklatscht — und der war jetzt der Oberbefehlshaber. Auch Donelly könnte schon längst in der Kommandantur sitzen und es sich gut gehen lassen, doch das war nichts für den alten Haudegen.

Zwar ließ sich der Wurm Zeit, aber Telvin und den anderen Männern machte das Warten wenig aus. Zu selten stießen sie bei ihren Missionen auf interessante Lebensformen. Und dieser Wurm, vor allem durch seine Größe, war auf jeden Fall etwas Besonderes. Zudem kam das erhebende Gefühl, etwas zu sehen, das kein Mensch zuvor erblickt hatte.

Offenbar satt, zog der Wurm schließlich seines Weges. Zurück blieb ein Urwaldriese, dessen wuchtiger Stamm ein Viertel seines Durchmessers eingebüßt hatte.

Hinter Telvin, verzerrt durch die Entfernung, aber trotzdem unverkennbar, hörte er das Brummen startender Triebwerke.

»Erst fliegen sie, als ob das Schiff gleich abstürzen würde — und dann haben sie es in einer halben Stunde repariert«, sagte Roven, ein stiernackiger Hüne, im Ernstfall dafür zuständig, die Torrent-Kanonen zu bedienen.

»Stümper eben«, kommentierte Pert.

Auch Telvin runzelte die Stirn, als der Transporter wie ein Pfeil aus funkelndem Silber senkrecht in den Himmel schoss.

 

****

 

Zwei Wochen zuvor …

 

Republikanische Sonde X13/4

KONTAKT durch Langestreckenscan

Position: HACHERO III

 

 

General de Sousa straffte sich in seinem Sitz, als ein Blinklicht auf seinem Schreibtisch aufleuchtete. Ein freundliches Gesicht aufsetzend, drückte er einen Knopf. Surrend fuhr ein Bildschirm aus dem Tisch. Ein kurzes Flackern, dann fixierten ihn eisblaue Augen: Varkan Dorgas, der Militärbeauftragte des republikanischen Rats.

»Ich grüße Sie, General.« Die Stimme stand seinen Augen in nichts nach.

»Und ich Sie«, versuchte de Sousa freundlich zu bleiben.

»Wir haben einen Kontakt bei Hachero III.«

De Sousa ließ seine Augenbrauen nach oben rutschen. »Wirklich?«

»Der Rat möchte, dass die PET den Planeten unter die Lupe nimmt.«

»Gern.«

»Bevor Sonde X13/4 noch eingehendere Scans vornehmen konnte, brach die Verbindung ab. Wahrscheinlich magnetische Interferenzen.«

»Das sollte kein Problem sein. Wir nehmen uns der Sache an und lassen Ihnen die Daten zukommen.«

Dorgas nickte — und kappte die Verbindung.

Arrogantes Arschloch!, dachte de Sousa und atmete durch. Soll er halt meinen, dass er wichtig ist und alles im Griff hat …

Er lächelte, und das Lächeln wurde noch breiter, da nun ein anderes Licht aufblinkte. Er stellte die Verbindung her.

»Ich hoffe, alles verläuft nach Plan.«

»Natürlich«, antwortete de Sousa selbstzufrieden. »Wie immer.«

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert